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Innovator, Lehrer, Teammanager

Alle Kraft voraus: Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zur anonymen Anzeige eingestellt, jetzt kann sich Prim. Dr. Alfred Ungersböck wieder mit ganzer Kraft der Entwicklung der Orthopädie-Landschaft im Süden Niederösterreichs widmen.


Prim. Dr. Alfred Ungersböck, der Teamchef: 30 Ärztinnen und Ärzte arbeiten in seiner Abteilung für Orthopädie, orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie im LK Neunkirchen mit dem Schwerpunkt Wirbelsäule, 20 in jener für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Sportorthopädie und Rheumachirurgie am LK Wiener Neustadt. Foto: Felicitas Matern

Er ist ein Langstreckenläufer, Kämpfer durch und durch, zielorientiert, zierlich und drahtig. Drei Stunden lang eine komplexe Operation durch­zuführen, das macht er mit ganzer Leidenschaft. Er liebt die feine Detailarbeit, das Unterstützen der Operation mit dem Computer, interessiert sich für neue Techniken und Methoden. Er nutzt die Kyphoplastie bei Wirbelbrüchen (siehe Bildtext) oder die minimalinvasive ASI-Hüfte als einer der Ersten im Land – und erwartet das Interesse für Neues auch von seinen Teams: 30 Ärztinnen und Ärzte arbeiten in seiner Orthopädie-Abteilung mit Wirbelsäulen-Schwerpunkt im Landesklinikum Neunkirchen, 20 in Wiener Neustadt.

Schmutzkübel-Kampagne

Extrem belastend war die Zeit nach der anonymen Anzeige im März, die weit über die Thermenregion hinaus Wellen schlägt: Schwerer Betrug und Urkundenfälschung wurde ihm vorgeworfen, Ungersböck sei nicht fertiger Facharzt für Unfallchirurgie. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gründlich und stellt das Verfahren Anfang Juli ein: Es gibt nichts, das man anklagen könnte. Die Ärzte­kammer betont in einer Aussendung vom 29. Juli, nicht sie habe Ungersböck angezeigt; wer dahintersteckt, ist offen. Doch der Reihe nach.

Vielfacher Staatsmeister

Alfred Ungersböck, Jahrgang 1962, wächst mit fünf Geschwistern in einer Bauernfamilie in Scheiblingkirchen in der Buckligen Welt auf – 10 km Luftlinie vom LK Neunkirchen entfernt und 25 km vom LK Wiener Neustadt. Früh schon entdeckt Ungersböck, der sich in der Schule „immer leicht getan“ hat, den Leistungssport für sich:
Zwischen 1978 und 1985 ist er, wovon viele nur träumen, mehrfach Österreichischer Staatsmeister – über 3.000 Meter, über 3x1.000 Meter oder im Crosslauf. 1982, er studiert bereits Medizin in Wien, tritt er bei der Europameisterschaft in Lille an, ebenso bei der Cross-WM in Madrid. Bewegung bleibt für ihn auch nach dem Leistungssport Grundhaltung und Lebensmotor.

Ausbildung bei den Besten

Das Medizinstudium schließt er rasch ab, er darf den letzten Studienabschnitt verkürzen, weil er bereits eine Ausbildungsstelle in der Schweiz hatte. Gleichzeitig verdient er sich den Lebens­unterhalt als Studienassistent auf der Anatomie. Er promoviert 1988 und findet danach in Österreich keinen Ausbildungsplatz – ihn interessiert die Neurochirurgie oder die Orthopädie.
Weil ihm die innovativen Ansätze in Basel, Bern und München reizen, bewirbt er sich dort – und wird in Bern genommen, nicht zuletzt, weil seinem dortigen Chef imponiert, dass Ungersböck so intensiv und zielorientiert sein sportliches Potenzial genutzt hat und über besondere Kenntnisse in der Anatomie verfügt. In der Schweiz ist damals schon, wie im gesamten angloamerikanischen Raum üblich, Orthopädie und Unfallchirurgie ein Doppelfach. Die Osteosynthese-Pioniere Maurice E. Müller und Reinhold Ganz sind seine Lehrer, allen Unfallchirurgen und Orthopäden bekannt als Autoren der „Bibel“ für die Knochenstabili­sation durch Schrauben und Platten, das AO-Manual.

Orthopäde & Unfallchirurg

Am 31. Dezember 1995 ist er Facharzt für Orthopädie und Traumatologie, am 2. Jänner 1996 beginnt er am Krankenhaus in Wiener Neustadt. Hätte damals schon das Abkommen über den freien Personen- und Güterverkehr zwischen der Schweiz und der EU gegolten (es kam erst 2002), wäre seine Doppel-Fachausbildung automatisch zu zwei Facharzt-Abschlüssen in Österreich geworden. So wird ihm lediglich die Orthopädie angerechnet. Deshalb vereinbart er mit dem damaligen Orthopädie-Primar Prof. Peter Bösch und dem damaligen und heutigen Unfallchirurgie-Leiter Prim. Dr. Franz Ortner, dass er das Unfall-Fach nachmacht.
Drei Jahre werden ihm aus der Schweiz angerechnet, ab 1999 vertieft er drei Jahre lang sein im innovativen Bern erworbenes traumatologisches Wissen und Können, und ist so 2002 auch Facharzt für Unfallchirurgie. Während dieser Jahre initiiert und vertieft Ungersböck die fächerübergreifende Zusammenarbeit zwischen Orthopäden und Unfallchirurgen.

„Kein Kläger werden“

„Die anonymen Schreiber haben wohl nicht gewusst, dass ich die Unfall-Ausbildung in der Schweiz schon abgeschlossen habe“, vermutet Ungersböck. Wie schaffte der vierfache Familien­vater den Alltag mit der belastenden Anzeige? „Damals wie heute versuche ich professionell damit umzugehen.“ Will er erheben lassen, wer ihn anonym angezeigt hat? „Ich werde kein Kläger werden. Es ist vorbei. Ich will in Ruhe qualifiziert medizinisch arbeiten.“

Wieder auf der Langstrecke

Aber es war eine extrem belastende Zeit: „Viele haben mir geraten, mich beurlauben zu lassen, aber das wollte ich nicht. Alle hier sind hinter mir gestanden. Mein Rechtsanwalt hat mich bei jedem Termin begleitet.“ Anfangs geht es ihm richtig schlecht mit der Situation, auch weil er zusätzlich durch schwere gesundheitliche Probleme in seiner Familie belastet war. Doch irgendwann im Mai beginnt der Langstrecken-Spezialist damit, drei Mal pro Woche zu laufen. „Dabei habe ich alles raus-atmen können. So hab ich mich wieder eingerenkt. Ich konnte wieder agieren und nicht nur reagieren.“ Er gewinnt Energie und wendet sich den innovativen, spannenden Aufgaben in seinem Beruf zu.

Zukunft vorwegnehmen

Computer-assistierte Endoprothetik am Knie nutzt er als einer der Ersten, bereits 2003 beginnt er mit der minimalinvasiven Kyphoplastie in der Wirbelsäulenbehandlung: Brechen Wirbelkörper wegen Osteoporose ein, werden sie mit Knochenzement aufgerichtet, die Patienten können sich gleich wieder normal bewegen. Die Alternative sind Korsette und Bettruhe – und damit die Gefahr, dass es gerade bei alten Menschen nur mehr bergab geht. 2003 bietet sonst nur Graz diese Verfahren an, „im AKH hatten sie das damals noch nicht.“ Heute ist Kyphoplastie eine Standardtechnik. 2004 beginnt er, auch als einer der Allerersten in Österreich, Hüft-Endoprothesen von vorne zu implantieren, minimal-invasiv – die sogenannte AMIS/ASI-Hüfte. Seit zwei Jahren werden in Neunkirchen viele Hüftgelenke so operiert, „das wird in Zukunft wahrscheinlich flächendeckend Standard.“ Er ist dafür Instruktor in einem europäischen Ausbildungsteam. Gelernt hat er die Technik in der Schweiz, Holland und Frankreich.
Demnächst hält er einen großen Vortrag dazu in Rom, „Firmen und Fachärzte springen auf.“ In Neunkirchen kann das außer ihm ein Arzt, in
Wiener Neustadt zwei. In wenigen Jahren sollen es alle seine Ärzte können.

Den Nachwuchs stärken

Das Lehren prägt seine Arbeit, denn „es entwickelt die Persönlichkeit.“ Am Tag des Interviews hat er seine zwei Klinisch-Praktisches-Jahr-Studierenden Kurzreferate halten lassen. „Das aktiviert die Oberärzte und Assistenzärzte, sie bringen ihre Erfahrungen ein, Informationen, die sonst nicht gesagt werden würden. Es ist schön, alle Generationen beisammen zu haben, Ärztinnen und Ärzte zwischen 25 und 65 Jahren – das ganze Leben eines Arztes auf einem Fleck sozusagen.“