„Mache nur mehr das, was mir Spaß macht“
Er ist Leiter einer neurologischen Abteilung. Leiter eines Forschungsdepartments an der Universität. Einer der angesehensten Neurologen der Welt und bald Präsident der Welt-Schlaganfall-Organisation. Von einem, der am Ende der Karriereleiter angekommen ist und sich dort sehr wohl fühlt.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Brainin wurde vor wenigen Wochen zum Präsidenten der World Stroke Organization für die Jahre 2018 bis 2020 gewählt. Foto: Philipp Monihart
Es gibt zwei Arten von Ärzten: Die einen fühlen sich dazu berufen, die anderen werden es aus purem Zufall, glaubt Prim. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Brainin. Er selbst zählt sich zur zweiten Kategorie: „Ich wollte immer Psychoanalytiker werden und wurde es auch, aber dann verschlug es mich recht schnell in die Neurologie.“ Seit vielen Jahren leitet der 64-jährige Wiener die Klinische Abteilung für Neurologie des Uniklinikums Tulln. Eine der größten neurologischen Akut-Abteilungen Österreichs mit 82 Betten und vier weiteren in der neurologischen Tagesklinik. Stolz führt er durch die Station, die er beim Neubau des Klinikums mitgeplant hat. „Wir bieten hier eine komplette Versorgung an. Sogar Therapieräume befinden sich direkt auf der Station. Es hat viele harte Verhandlungen gegeben, um das durchzusetzen.“
Spezialist
Primarius Brainin ist einer der führenden Schlaganfall-Spezialisten der Welt. 1997 hat er mit seinem Team die erste Stroke-Unit in Österreich eingerichtet. Stroke-Units sind Schlaganfall-Spezialstationen, in denen extra geschulte Neurologen, Therapeuten und Pflegepersonen ausschließlich Patienten mit akuten Schlaganfällen behandeln. Das Modell hat sich durchgesetzt, heute gibt es 38 Stroke-Units in Österreich. Ausgangspunkt dafür war Brainins Landesneurologieplan, erstellt 1994 im Auftrag der NÖ Landesregierung, auf den er heute noch mit Stolz blickt. Gäste aus aller Welt besuchen nun das Universitätsklinikum, um sich die Stroke-Unit anzusehen: „Vor allem Ärzte aus Asien sind erstaunt, dass es so etwas gibt. In vielen asiatischen Ländern besteht bei der Behandlung von Schlaganfällen noch Nachholbedarf.“
Gegen die Zeit
Ein Schlaganfall ist eine Durchblutungsstörung im Gehirn. Pro Minute sterben dabei etwa zwei Millionen Gehirnzellen, da sie nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden. Deshalb spielt Zeit bei der Behandlung eine bedeutende Rolle: Möglichst schnell muss eine Thrombolyse, eine Auflösung der Blutverdickung, erfolgen, bevor sich der Schaden ausbreiten kann. Heimische Patienten werden besonders gut versorgt: „Österreich ist weltweit führend in der Thrombolyse“, erklärt Brainin. Seit etwa einem Jahr können Thromben (Blutverdickungen), die sehr groß sind, auch mechanisch entfernt werden: Ein Katheter wird in die Leiste einführt und der Blutklumpen mit einem Netz eingefangen. Diese sogenannte Thrombektomie soll nun etabliert und rund um die Uhr angeboten werden.
Forschung
Brainin ist seit 2000 auch Leiter des Departments für Klinische Neurowissenschaften und Präventionsmedizin an der Donau-Universität-Krems. Sein Lehrgang „Master of Stroke Medicine“ findet weltweit Zuspruch. Als die Kopenhagener Medizin-Universität eine Nachbesetzung für die dortige Stroke-Unit suchte, wurde das Masterdiplom aus Krems als Voraussetzung angegeben. „Das Geheimnis ist: Wir nehmen niemals die Zweitbesten. Nur die Besten. Deshalb hat noch nie jemand abgelehnt, den wir als Vortragenden wollten – weil das so prestigeträchtig ist.“
Familie
Seine Frau unterstützt ihn bei seiner Forschungsarbeit. Die Soziologin ist Teil des 19-köpfigen Department-Teams. Seine beiden Söhne sind nicht in seine Fußstapfen getreten, sondern erfolgreich in der IT und der Wirtschaft. Ihn selbst hat die
Neurologie aber vollständig in seinen Bann gezogen. „Sie gefällt mir deshalb, weil man keine Checklisten-Medizin macht. Man bleibt immer ein kleiner Hirnforscher. Ist immer wieder fasziniert von der Funktionsweise des Gehirns. Es gibt noch so viele weiße Flecken auf der Landkarte und der Reiz, diese zu erkunden, ist wahnsinnig groß“, schwärmt Brainin.
Wenig Freizeit
Brainin ist Mitglied der internationalen Schlaganfall-Organisation (World Stroke Organization). Vor wenigen Wochen wurde er einstimmig zum Präsidenten für die Jahre 2018 bis 2020 gewählt. Derzeit ist er Vizepräsident dieser Organisation, die weltweite Schulungen für Ärzte durchführt und Informationen zur Erkrankung in Form von Kongressen und einer Fachzeitschrift weitergibt. Brainin hat alleine in Vietnam 9.000 Ärzte geschult. „Seither gibt es dort auch Stroke-Units und die Thrombolyse wurde eingeführt“, erklärt er, „vorher gab es dort nichts dergleichen.“
Sein Engagement führt dazu, dass er jedes zweite Wochenende im Ausland verbringt. Er eröffnet Tagungen oder hält Festreden. „Die meisten Leute kommen am Wochenende ausgeruht vom Schrebergarten. Ich komme vom Flughafen“, sagt er. Das Thema Freizeit sei ein Problem:
„Wenn ein alter Freund ein Bier trinken gehen will und ich einen Termin in zwei Monaten vorschlage, glaubt er natürlich, ich will mich nicht mit ihm treffen. Das möchte ich gerne ändern, denn auf Dauer geht das nicht.“ Die wenige freie Zeit, die ihm bleibt, nutzt er gerne zum Lesen und Musikhören. „Mein großes Glück ist, dass ich eine Frau habe, die mich bei meiner Arbeit unterstützt“, weiß Brainin.
Lehrer
Sein größter beruflicher Erfolg war das Schulungsprogramm in Vietnam: „Als Arzt denkt man oft zurück an Situationen, in denen man jemandem das Leben gerettet hat. Aber das hätte ein anderer in dieser Situation auch gemacht. 9.000 Leuten erklären, wie man Leben rettet, das ist eine ganz andere Dimension.“ Mittlerweile ist er dort regelmäßig Gast, hat Freunde gefunden und beschreibt die vietnamesische Küche als die beste der Welt. Aber auch in Österreich ist die Lehre sein persönliches Steckenpferd. Studenten am Krankenbett zu unterrichten ist das, was er am besten kann, wie er meint: „Es sind viele gute Leute aus unserer Abteilung hervorgegangen. Die Studenten sagen: ‚Am besten ist, man geht zum ‚Brainy‘, denn der ist zwar streng, aber bei dem lernt man was.‘ Und mit diesem Ruf kann ich leben.“ Deshalb werde er auch in Zukunft sowohl die klinische Arbeit als auch die Lehrarbeit weiterführen: „Die Kombination ist der Hit. Ich habe im Klinikum sehr gute Vertreter und kann deshalb sehr flexibel sein.“
Ehrungen
Für seine Tätigkeit hat der Spezialist verschiedene Ehrungen und Preise erhalten, ist Ehrendoktor der Universität Hanoi und der Universität Cluj in Rumänien sowie Ehrenprofessor der chinesischen Universität Gangzhou. Seit kurzem ist er Senior Consulting Editor für „STROKE“, die weltweit wichtigste Zeitschrift seines Fachs. Das sei eine große Ehre. „Wenn man an einem Punkt ist, an dem man nicht mehr Karriere machen muss, ist das sehr angenehm. Ich mache nur mehr das, was mir Spaß macht“, erklärt er zufrieden.





