Im Dienste der Menschlichkeit
Sein ganzes Leben widmete der Amstettner Anästhesist Prim. Dr. Albert Reiter der Medizin. Am 31. Dezember geht er in Pension, und dann, sagt er, wird er zwar weiterhin arbeiten, aber „irgendwas, das mit der Medizin nichts zu tun hat“.

Prim. Dr. Albert Reiter, 65 Jahre alt, verheiratet, vier erwachsene Kinder, seit 1. Jänner 1993 Leiter der Abteilung Anästhesiologie und Intensivmedizin
Der 65-jährige Prim. Dr. Albert Reiter wurde in Innsbruck geboren, studierte dort Medizin, arbeitete als Turnusarzt in Tirol und Vorarlberg, machte ab 1981 seine Facharztausbildung zum Anästhesis-ten in Feldkirch und kam 1993 nach Niederösterreich. Hier hatte er die Möglichkeit, die Abteilung Anästhesiologie und Intensivmedizin am Landesklinikum Amstetten zu leiten. „Ich hätte diese Stel-le in zwei niederösterreichischen Krankenhäusern antreten können und habe mich für Amstetten entschieden, weil hier einfach alles gestimmt hat“, erklärt Reiter, „ich habe diese Entscheidung keine Minute bereut.“
Glück & Unterstützung
Als er anfing, bestand sein Team aus vier Fachärzten und vier Assistenzärzten. Heute ist die Abteilung auf 25 ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herangewachsen. Es sei menschlich wie fachlich „eine super Truppe“, wie er sagt: „Ich habe sie fast alle selbst ausgebildet und kann deshalb Ende des Jahres mit gutem Gewissen in Pension gehen.“ Überhaupt hatte er immer viel Glück und Unterstützung in seinem Job, findet er. „Durch gutes Verhandeln habe ich beinahe alles erreicht, was ich wollte. Dafür bin ich allen, die mich hier während meiner 23 Jahre begleitet haben, sehr dankbar. Bei der Planung der Intensivstation konnte ich vom ersten Architektenstrich an mitarbeiten und es wurden mir alle Wünsche erfüllt“, ist er stolz. Auf diese Weise konnte er viel Gutes für die Patienten, aber auch die Mitarbeiter erreichen.
Betreuung der Angehörigen
Besonders wichtig war Reiter, einen Raum zu haben, in dem man sich ungestört um Angehörige von Patienten kümmern konnte. Sei es, weil ein Patient gestorben ist oder um beispielsweise den Insassen eines verunfallten Autos die Möglichkeit zu bieten, sich in privater Atmosphäre auszutau-schen. Darum ist der Raum groß genug, um neben die Sitzmöglichkeiten auch ein Bett platzieren zu können. „Der Architekt erklärte mir damals, dass für einen solchen Raum einfach kein Platz mehr wäre. Deshalb wurde die Idee geboren, ihn außerhalb an die Fassade des Krankenhauses zu bauen. Seitdem nennt ihn die Belegschaft die ‚Reiter-Warze‘, weil er so unförmig aus dem Gebäude
heraussteht“, schmunzelt der Arzt.
Patient Blood Management
20 Jahre lang war Reiter auch der Leiter des Blutdepots in Amstetten. Dort etablierte er das Patient Blood Management. Eine Methode, Blut nicht nur als Produkt zu sehen und so einerseits viel Geld einzusparen und andererseits auch die Gesundheit der Patienten zu verbessern. Patient Blood Management besteht aus drei Säulen: Einerseits wird vor einer Operation abgeklärt, ob Blutarmut vorliegt, deren Ursache untersucht und behandelt. Andererseits bemühen sich die OP-Teams um eine Minimierung des Blutverlustes während der Operation, etwa durch die Überprüfung der Blut-gerinnung des Patienten, Rückgabe des bei der Operation gesammelten Blutes und exaktes Blutstillen. Und letztlich geht es auch darum, eine Anämie zu tolerieren: „Wenn ein Patient wenig Blut im Körper hat, muss das noch kein Problem sein“, erklärt der Fachmann, „wenn er nach der Operation wenig Stress hat, was man durch eine gute Schmerztherapie schaffen kann, dann ist es auch in Ordnung, wenn eine leichte Blutarmut vorliegt.“
Organspende
Außerdem ist Reiter seit 2007 Transplantationsreferent für Niederösterreich und das Burgenland. In dieser Funktion hält er Vorträge, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und muss rund um die Uhr für die Kliniken in den beiden Bundesländern erreichbar sein, falls es akute Fragen gibt. „Ein paar Mal bin ich nach einem solchen Anruf auch schon hingefahren, um zu assistieren, wenn es nötig war“, erzählt er. Besonders stolz ist er auf den Film „Das geschenkte Leben – Organspenden in Niederösterreich“, der vom ORF Niederösterreich gedreht wurde und an dem er mitgearbeitet hat. „Das ist ein toller Informationsfilm über Organspenden geworden, der Sonntagabend zur besten Sende-zeit ausgestrahlt wurde. Mittlerweile gibt es ihn auch mit englischen Untertiteln, damit man ihn auf der ganzen Welt verstehen kann“, erläutert Reiter.
„Unterm Reiter war’s cool“
Von seinem Nachfolger wünscht er sich, dass
dieser der Abteilung seinen eigenen Stempel auf-drückt und das Niveau noch einmal anhebt. Die größte Freude hätte er, wenn man die Abteilung nach einem Jahr nicht mehr wiedererkennen würde und trotzdem noch alle Mitarbeiter freundlich und glücklich wären. „Schön wäre, wenn die Leute sagen: ‚Unterm Reiter war’s cool und jetzt ist es noch cooler‘“, lächelt der Abteilungsleiter. In seinem Ruhestand wird er in die USA übersiedeln. Seine Frau, die er 1977 bei der Führerscheinprüfung kennengelernt hat, hat er danach aus den Augen verloren und sie wurde amerikanische Staatsbürgerin. Vor ein paar Jahren hat sie ihn über das Internet wiedergefunden und im November letzten Jahres heirateten die beiden. Nun möchte er seine Pension mit ihr in Minnesota verbringen. Eine Fischerkarte hat er dort schon, und auch in die Baseballregeln hat er sich eingelesen. „Ein Freund hat mich schon einmal zu einem Spiel mit-geschleppt. Wenn man die Regeln nicht kennt, dann ist das ganz schön fad“, weiß Reiter.
Große Pläne
Und womit möchte er sich in den Vereinigten
Staaten beschäftigen? Er hat die Idee, den niederösterreichischen Wein in Minnesota salonfähig zu machen und auch schon ein kleines Netzwerk auf-gebaut. „Vielleicht auch den Vorarlberger Bergkäse. Das sind halt noch Visionen. Auf jeden Fall nichts mit Medizin. Das habe ich lange genug gemacht.“ So ganz stimmt das dann aber doch nicht, denn Reiter wird in der Mayo-Klinik in Rochester als
freiwilliger Helfer arbeiten. Er wird aber nicht etwa Behandlungen durchführen, sondern beispielsweise mit Patienten sprechen oder sie zur Musiktherapie fahren. „Menschlichkeit“, sagt er, „ist unglaublich wichtig. Das höre ich auch regelmäßig sowohl von den Patienten als auch von den Angehörigen. Die Mayo-Klinik ist eines der besten Spitäler der Welt und hat auch schon einen Nobelpreisträger hervorgebracht. Ich möchte ein bescheidener Teil davon sein.“





