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Mehr Zeit für die Patienten

Die Pflegedokumentation muss einfacher und übersichtlicher werden – dokumentiert wird nur mehr, was zusätzlich zu den Standards getan wird. Die NÖ Landeskliniken-Holding arbeitet auch an der gemeinsamen Dokumen­tation mit Ärzten und Therapeuten.


„Im Dialog“ waren diesmal Expertinnen und Experten zum Thema Pflegedokumentation, moderiert von G&L INTERN Chefredakteurin Mag. Riki Ritter-Börner.

Pflegewissenschafterin Mag. Gerlinde Mayer

DGKS Gabriele Dungl

DGKS Annette Wachter, MSc

Roman Gaal, MSc, MAS

LR Mag. Karl Wilfing

Dr. Markus Klamminger

Die Pflege dokumentiert zu viel – vor allem, um auf der sicheren Seite zu sein. Doch genau dadurch entstehen Fehler und Probleme.
Deshalb gibt es seit 2010 bundesweit eine Arbeitshilfe zur Pflegedokumentation von der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH). Durch die sinkende Verweildauer der Patienten wurde es nötig, diese Arbeitshilfe für den Akut- und rehabilitativen Bereich neu zu gestalten. Die NÖ
Landeskliniken-Holding ist einer von acht Krankenhaus-Trägern, die diese Arbeitshilfe gemeinsam überarbeiteten. Nun geht es an die Umsetzung der dabei gewonnenen Erkenntnisse.

 

7 Irrtümer

  1. Es müssen immer alle Schritte des Pflegeprozesses durchgeführt und dokumentiert werden.
  2. Ein Pflegeplan ist dasselbe wie Pflegeplanung.
  3. Ein Pflegeplan erfordert immer Pflegediagnosen, Pflegeziele und Pflegeinterventionen.
  4. Alles, was nicht dokumentiert ist, ist nicht geschehen.
  5. Bei einer Verletzung der Dokumentationspflicht haftet immer die einzelne diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson.
  6. Trotz Expertenstandards/Leitlinien/SOPs muss immer
    ausführlich dokumentiert werden.
  7. Pflegedokumentation ist ident mit der
    Leistungsdokumentation.


Pflegewissenschafterin Mag. Gerlinde Mayer, Bereich Pflege und Therapie, Abteilung Pflege, nicht ärztliche Gesundheitsberufe und Ausbildung, ist in der Holding-Zentrale verantwortliche Ansprechperson. Sie hat vor ihrem Studium als DGKS auf der Herz-Intensivstation in Krems gearbeitet: „Der Aufwand für die Dokumentation in der Pflege ist derzeit in ganz Österreich zu hoch. Durch die sinkende Verweildauer im Akut­bereich brauchen wir eine schlankere und im Alltag besser bewältigbare Dokumentation. Aus einem falsch verstandenen Sicherheitsdenken heraus dokumentieren wir nämlich derzeit viel zu viel. Es geht darum, das Wesentliche zu erkennen und das zu dokumentieren, was nicht sowieso schon in den Standards festgehalten ist. Die Pflege muss sich ihrer Kompetenzen bewusst sein und bereit sein, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen.“


DGKS Gabriele Dungl,
Stationsleiterin Interne A, Landesklinikum Hollabrunn: „Wir dokumentieren alles handschriftlich. Das Problem ist, dass auch bei uns zu viel dokumentiert wird, sodass man das Wesentliche gelegentlich gar nicht mehr erkennen kann. Wenn zum Beispiel zu viele Pflegediagnosen dokumentiert werden, braucht man viel zu lange, um das zu lesen, bevor man mit der Arbeit beginnen kann. Im Schnitt verwendet die Pflege 40 Prozent der Zeit für Dokumentation – einen Teil könnte sie dem Patienten persönlich widmen und ihm qualitative Pflege zukommen lassen. Auf eine EDV-gestützte Dokumentation warte ich sehr – in Korneuburg läuft sie bereits seit acht Jahren, ich habe mir das angeschaut: Alles ist viel besser nachvollziehbar und damit im Fall einer Prüfung auch objektiver. Von einer gemeinsamen Dokumentation wäre ich echt begeistert.“


DGKS Annette Wachter, MSc,
Bereichsleiterin, Universitätsklinikum St. Pölten: „Wir dokumentieren teilweise EDV-gestützt, teilweise auf Papier. Eine Vereinfachung wäre für alle Berufsgruppen positiv und würde die interdisziplinäre Kommunikation erleichtern. Derzeit werden einzelne Pflegeschritte mehrfach dokumentiert, weil manche Pflegekräfte davon ausgehen, je mehr dokumentiert ist, desto besser. Pflegekräfte müssen ihrer Kompetenz entsprechend klar entscheiden, was Standards sind und was sie dokumentieren. Aber das darf man von unseren gut ausgebildeten Fachkräften auch so erwarten. Mein Wunsch ist eine gemeinsame Dokumentation mit Ärzten und Therapeuten. Dies hat den Vorteil, dass Patienten manche Fakten nur noch einmal gefragt werden. Aktuell fragen mehrere Berufsgruppen dieselben Fakten ab: Hier entsteht beim Patienten der Eindruck, ‚die reden nicht miteinander‘. Unter diesem Aspekt ist eine gemeinsame Dokumentation sicherlich hilfreich und dient außerdem der Qualitätssicherung.“


Roman Gaal, MSc, MAS,
Leiter Abteilung Pflege, nicht ärztliche Gesundheitsberufe und Ausbildung, Holding-Zentrale: „Nicht die Menge der Worte entscheidet in der Dokumentation, sondern dass die Mitarbeiter die Sicherheit haben, dass es ausreicht, die wesentlichen Punkte zu dokumentieren. Das ist natürlich ein Paradigmenwechsel. Ich erwarte mir von der überarbeiteten Arbeitshilfe für eine schlankere Dokumentation eine deutliche Entlastung der Pflege. Deshalb wurden im ersten Schritt die Pflege- und Schuldirektorinnen und -direktoren von den Änderungen informiert – so lernen alle, die jetzt ausgebildet werden, gleich die neue Regelung der Dokumentation. Sobald die Pflege in der Praxis Routine mit der schlankeren Dokumentation hat, hat sie auch mehr Zeit für die Patienten.
Unsere Mitarbeiter brauchen das Gefühl von rechtlicher Sicherheit, auch im Schadensfall. Dafür werden auch die Gutachter von den Veränderungen und neuen Sichtweisen in Kenntnis gesetzt.“


LR Mag. Karl Wilfing:
„Das Wichtigste ist die Arbeit am und für den Patienten und das Gespräch mit ihm. Die Bürokratie gibt der Pflege das Gefühl, nicht mehr ausreichend Zeit für die Patienten zu haben. In Österreich neigen wir dazu, Vorgaben überzuerfüllen, das gilt für Pflege und Ärzte.
Künftig soll die Pflege nur mehr das Notwendige dokumentieren: Es gibt Standards, die braucht man nicht aufzuschreiben, sondern nur das, was im Pflegeprozess darüber hinausgeht. Gefragt ist dafür Hausverstand und Vernunft. Diese übersichtliche und professionelle Form der Dokumentation muss nun in der Ausbildung gelehrt werden. Denn weniger Dokumentation bringt mehr Zeit für die Patienten. Wir arbeiten daran, dass das Krankenhaus-Informationssystem in allen 27 Standorten allen Berufsgruppen bei der Dokumentation bestens zur Hand geht. Dafür entsteht gerade das Pflichtenheft für die Ausschreibung der Software für eine gemeinsame Dokumentation – ein sehr komplexes Thema. Wer bereits elektronisch dokumentiert, wird sich vielleicht an das neue System gewöhnen müssen. Aber das ist wie mit einem neuen Handy: Nach drei Tagen kennt man sich wieder aus und ist damit glücklich. Wir testen derzeit auch das Modell eines Dokumentations-Assistenten mit dem Ziel, Ärzte und Pflege im stationären Bereich zu entlasten.“


Dr. Markus Klamminger,
Leiter Abteilung Medizinische Betriebsunterstützung und stellvertretender Medizinischer Geschäftsführer: „Unter dem Gesichtspunkt, dass sich die ärztlichen Ressourcen verengen, hat die Pflege im Rahmen von §15 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes zusätzliche Aufgaben von den Ärzten übernommen. Deshalb brauchen wir die Verschlankung der Dokumentation, um die Ressourcen der Pflegekräfte zu schonen. Derzeit arbeiten wir an der Vereinheitlichung eines KIS-Systems und in Arbeitsgruppen werden Pflege, Mediziner und Therapeuten aller Fächer ihre Anforderungen für ein Leistungsverzeichnis erarbeiten.

Das ist ein sehr komplexes Thema, das uns alle enorm fordert. Es wird ein einheitliches System geben, mit einer einheitlichen Eingabemaske an allen Standorten, aber nicht das System, das alle glücklich macht – das gibt es nämlich nicht. Das einheitliche System ist auch für die Ärzte-Ausbildung nötig, denn künftig werden unsere Jungärzte dafür an mehreren Standorten arbeiten müssen, sie sollen sich überall sofort auskennen. Ebenfalls wichtig für die gemeinsame Dokumentation: Eine multiprofessionelle, interdisziplinäre Dokumentation bringt für alle Beteiligten einen Mehrwert und soll unter anderem zur lückenlosen Informationsweitergabe beitragen. Die Zusammenarbeit wird jedoch immer an oberster Stelle stehen.“

Anforderungen an die Pflegedokumentation

-Kontinuität
-Vollständigkeit
-Therapiesicherung
-Beweissicherung
-Qualitätssicherung
-Nachvollziehbarkeit für fachkundige Dritte (roter Faden)

Deshalb ist die fachliche Expertise der Pflegekräfte gefordert:
-Reflektieren und hinterfragen der bestehenden Dokumentation – was macht Sinn, was ist Unsinn?
-Mythos ausräumen: „Umso mehr Pflegediagnosen, umso besser“
-Begriffe definieren:
Pflegediagnostik (Problembeschreibung – nur nötig, wenn die Pflege innerhalb des stationären Aufenthalts einen Einfluss auf das Pflegeproblem hat), Pflegeplanung (kognitive Tätigkeit, für den Patienten wird eine maßgeschneiderte Vorgehensweise entwickelt), Pflegeplan (ist das Resultat der Pflegeplanung: was tatsächlich gemacht wird, wird schriftlich festgehalten)


Ausbildung

Angebot aus dem Bildungsprogramm zum Thema Pflegedokumentation
Seminartitel: Pflegedokumentation „neu“ schlank und effizient
Termine (jeweils 09:00–17:00 Uhr):
12. Jänner 2017, LK Horn
17. Jänner 2017, LK Amstetten
24. Jänner 2017, LK Wiener Neustadt
27. Jänner 2017, Holding-Zentrale
31. Jänner 2017, LK Mistelbach-Gänserndorf