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Pflege – fit für die Zukunft?

„Im Dialog“ diskutiert die zahlreichen Veränderungen, die im Bereich Pflege derzeit Thema sind – von der Ausbildung bis hin zur Arbeitsverteilung.


„Im Dialog“: Diskussionsrunde zum Thema Pflege Foto: Felicitas Matern

Mehr als die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den NÖ Kliniken sind Pflegekräfte. Bei den Pflegeberufen ist derzeit einiges in Bewegung. Derartige Veränderungen sind nichts Neues (siehe unten), aber sie erzeugen Unsicherheit und Diskussionen – ein guter Grund für GESUND&LEBEN INTERN, zu „Im Dialog“ zu laden. Das Ergebnis: Ja, es wird sich einiges ändern, sich ändern müssen. Aber in Summe ist dies eine große Chance, attraktivere Arbeitsplätze für alle Beteiligten zu gestalten.

Akademisierung der Ausbildung

Dass sich Veränderungen anbahnen, ist spätestens klar, seit neben den zwölf Gesundheits- und Krankenpflegeschulen an den Universitäts- und Landeskliniken auch die beiden Fachhochschulen in Krems (seit 2012) und Wiener Neustadt (seit diesem Schuljahr) diplomierte Pflegekräfte ausbilden. Im Universitätsklinikum St. Pölten beispielsweise sind bereits seit 2013 Gesundheits- und Krankenpflegepersonen tätig, die einen Bachelorstudiengang absolviert haben.
Derzeit kommen auf einen FH-Absolventen mit einem Bachelor-Abschluss (BA) zehn diplomierte Pflegekräfte (DGKS/DGKP) aus den NÖ Pflegeschulen. Diskutiert wird derzeit, künftig alle Pflegekräfte für den gehobenen Dienst nur mehr an Fachhochschulen auszubilden. Das Land
Niederösterreich unterstützt diesen Weg.

„Assistenz“ statt „Hilfe“

Auch die anderen Pflegeberufe stehen vor Neuerungen: Das Gesundheitsministerium schlägt in seinem Modell für die Neuordnung der Pflege vor, statt der bisherigen Pflegehilfe (PH) eine Pflege­assistenz (PA) zu schaffen, die Ausbildung bleibt mit zwei Semestern gleich lang. Experten raten dringend dazu, die Ausbildungsinhalte zu überarbeiten. Parallel dazu soll für die jetzigen Pflegehilfen eine Übergangsregelung entstehen.
Mit einer Ergänzungsausbildung, schlägt das Gesundheitsministerium vor, wird aus einer Pflegeassistenz die „Pflegeassistenz Plus“ (PA Plus)
mit zusätzlichen Berufskompetenzen. Außerdem könnte diese Zusatzausbildung auch mit den neuen MAB-Ausbildungen kombiniert werden (Medizinische Assistenzberufe wie Gips-, Operations-, Labor­assistenz etc.). Noch ist nicht klar, ob die einjährige Ausbildung eine generelle Grundausbildung sein soll, zu der man auf jeden Fall weitere Module je nach Arbeitsplatz braucht oder ob sie von Anfang an auf die verschiedenen künftigen Anforderungen spezialisiert und damit eine Berufsbefähigung ist.
Die Ausbildung für die Assistenzberufe – sowohl für die Pflege als auch für alle anderen medizinischen Assistenten wie Gips-, Operations-, Labor­assistenz  – soll an den Gesundheits- und Krankenpflegeschulen bleiben. Diese Neuerungen sind derzeit allerdings erst in Diskussion. Mit Entscheidungen wird im Laufe des Jahres 2015 gerechnet.

Neuer Bedarf durch weniger Ärzte

In der Praxis zeigt sich der Diskussionsbedarf über die Berufsbilder in der Pflege immer deutlicher, weil die Zahl der tatsächlich zur Verfügung stehenden Ärztinnen und Ärzte sinkt. Denn seit der Einführung der Aufnahmeprüfungen für das Medizinstudium gibt es zwar weniger Studienabbrecher, aber auch weniger Absolventen. Damit wird es notwendig, die Ärztinnen und Ärzte von nicht zwangsläufig ärztlichen Tätigkeiten zu entlasten, damit sie ihre Kernaufgaben erfüllen können. Außerdem tragen die Abteilungen in den Universitäts- und Landeskliniken seit August auch die Verantwortung für die Ausbildung von Medizin-Studierenden im letzten Studienjahr, dem Klinisch-Praktischen Jahr, haben also zusätzliche Aufgaben übernommen. Das bedeutet für die Pflege, dass sie die Ärzteschaft künftig in verschiedenen Bereichen entlasten muss. Auch ausgewählte, bisher ärztliche Tätigkeiten werden langfristig von den Ärzten hauptsächlich zur Pflege wandern.

Demografischer Wandel

Schließlich wird die Diskussion auch befördert durch den demografischen Wandel, der neue Anforderungen an die Pflege mit sich bringt: Waren früher beispielsweise „mittelalte“ Menschen, deren Gallenblase entfernt wurde, einfach nur für diese OP im Krankenhaus, sind es heute meist alte und multimorbide Patienten, bei denen vor der Operation erst einmal Blutzucker und Blutdruck eingestellt werden müssen. Das heißt, sie müssen vorab intensiver diagnostisch und therapeutisch betreut und auch intensiver gepflegt werden. Dazu kommt die steigende Zahl dementer Patientinnen und Patienten, die einen besonderen, deutlich höheren Aufwand und neue Herausforderungen für die Pflege bedeuten.
Gleichzeitig verändern sich die Behandlungs­methoden und Therapien durch neue medizinische Techniken und Erkenntnisse hin zu schonenderen Eingriffen, die schnellere Genesung ermöglichen. Dadurch gibt es mehr tagesklinische oder wochenklinische Behandlungen, was wiederum den organisatorischen Ablauf für die Pflegekräfte deutlich verändert: Für den einzelnen Patienten bleibt weniger Zeit, weil mehr Menschen in kürzerer Zeit betreut werden müssen.

Zielgerichtete Dokumentation

Ein großes Thema ist die Dokumentation der Behandlung und Versorgung, die bisher von Ärzten und Pflegekräften getrennt zu erfüllen ist. Dabei gibt es zahlreiche Doppelgleisigkeiten, aber „mehr“ bedeutet nicht unbedingt „besser“, und da sich die eine Berufsgruppe auf die andere verlässt, birgt das System auch einige Gefahren. Die Experten in der NÖ Landeskliniken-Holding arbeiten derzeit an Konzepten für eine zielgerichtete elektronische Dokumentation, die  gemeinsam von Ärzten, Therapeuten und Pflege genutzt wird und dabei an den jeweiligen Bedarf angepasst ist (Stichwort: neue Pflegeanamnese für Kurzzeitpflege).
Die Frage lautet: Was muss die gemeinsame Dokumentation können, um gestaltbar, flexibel und passend für die unterschiedlichen Settings zu funktionieren? Sie muss sich natürlich auch an den Risiken der einzelnen Behandlungen orientieren, soll aber so wenig Aufwand wie möglich erfordern.

Umbruch als Chance

Die Diskussionsteilnehmenden bei „Im Dialog“ sind sich einig: Diese zahlreichen bevorstehenden Veränderungen können verunsichern. Viele Weichen sind zu stellen, viele Entscheidungen zu treffen. Aber diese bevorstehenden Veränderungen bergen vor allem auch viele Chancen, die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten zu verbessern.       

Roman Gaal, MSc, MAS, Bereichsleiter

Pflege und nicht-ärztliche Gesundheits-berufe, stellvertretender Abteilungsleiter Medizinische und Pflegerische Betriebs-unterstützung in der Holding-Zentrale:
„Die Gruppe der Pflegekräfte erlebt derzeit einen extrem starken Wandel, weil in vielen Bereichen Änderungen laufen oder bevorstehen: In der Ausbildung verändert sich viel durch die Fachhochschulen und durch die von Bundesseite geplanten Veränderungen hin zu Pflegeassistenten. Es ändern sich aber auch die Arbeitsabläufe und Aufgaben: Der demografische Wandel bringt neue Anforderungen, ebenso die sich verändernden Behandlungsmöglichkeiten und die minimalinvasiven Operationstechniken, sowie der Trend zu interdisziplinären Stationen, wie es sie jetzt schon fast überall im Bereich der Aufnahme und der Tageskliniken gibt. Dieser Trend zur Interdisziplinarität wird sich noch fortsetzen. Auch der demografische Wandel bringt veränderte und neue Anforderungen – multimorbide und demente Menschen brauchen mehr Pflege. Ebenso steigen die Anforderungen durch das künftig nötige Übernehmen von zusätzlichen Aufgaben, denn die Pflege muss Ärztinnen und Ärzte entlasten. Und sie wird die Ärzte noch stärker unterstützen müssen, etwa bei der Dokumentation. Aber sie wird auch Aufgaben an Dritte abgeben müssen, und das ist natürlich etwas Neues für viele Kolleginnen und Kollegen, etwas, das sie auch erst lernen müssen.“

Pflegedirektorin Michaela Gansch, MSc, Universitäts­klinikum St. Pölten:

„Langfristig werden wir den Beruf des gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege attraktiver gestalten müssen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist, die Ausbildung der Pflege an die Fachhochschulen zu verlagern. Dadurch ergeben sich für die Pflegepersonen die Möglichkeiten etwa ein Masterstudium in Pflegewissenschaften oder ein sozialwissenschaftliches Studium anzuschließen.
Die Ausbildungsinhalte müssen ebenfalls an die zukünftigen Anforderungen angepasst werden, das heißt mehr medizinische Grundlagen in das Studium aufnehmen, damit der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege seine Aufgaben in bester Qualität erfüllen kann. Die Pflegepersonen sind 24 Stunden täglich am Patienten tätig und müssen jede Veränderung seines Gesundheitszustandes erfassen können und an den Arzt weiterleiten, damit gemeinsam Maßnahmen zur Behandlung gesetzt werden können.
Ein weiterer Grund sind die Tätigkeits­verschiebungen aus dem ärztlichen Bereich in den Pflegeberuf, die gleichfalls eine höhere Fach- und Methodenkompetenz erfordern. Die Pflegepersonen werden zukünftig mehr Verantwortung übernehmen müssen, um ihren Beruf nach den Erfordernissen ausüben zu können. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Rahmen­bedingungen für die Pflegepersonen zu schaffen, damit diese auch weiterhin eine qualitativ hochwertige Betreuung unserer Patientinnen und Patienten gewährleisten können.“

Prim. Univ.-Doz. Mag. Dr. Klemens Eibenberger, Radiologe, Ärztlicher Direktor im Landesklinikum Waidhofen/Ybbs:

„Auch den Ärztinnen und Ärzten fällt es schwer, Aufgaben abzugeben, aber auch sie werden es lernen müssen. Lange hatten wir Ärzte im Überfluss, man hat darauf geschaut, dass Ärzte möglichst viele Aufgaben übernehmen, um sie zu beschäftigen. Jetzt müssen wir radikal umdenken, die Ärzte werden in der Praxis viele Aufgaben abgeben müssen. Wir werden in den kommenden Jahren auf allen Ebenen neu definieren müssen, wer wofür zuständig ist. In Waidhofen/Ybbs haben wir sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Aufgaben zu verschieben. Wir planen gerade ein Projekt,  indem wir durch Einsatz von Servicekräften die Pflege entlasten, etwa im Bereich der Speisenversorgung.
Wir haben das auch im Labor probiert: Dort haben wir ab Mittag bis morgens statt einem Turnusarzt einen eigenen Laborassistenten im Einsatz. Das Ergebnis überzeugt: Alle Beteiligten sind zufriedener und die Lernkurve der Ärzte ist deutlich gestiegen.“

Mag. Kristina Starkl, Personalabteilung des Landes LAD2-B:

„Die Pflege ist eine Berufsgruppe, die traditionell mit hoher Qualität arbeitet. Um für die Zukunft fit zu bleiben und die gewohnt hohe Qualität auch beibehalten zu können, müssen wir allerdings gemeinsam neue Wege gestalten, und da sind wir bereits mittendrin: Der Bund hat einen Vorschlag gemacht, die Berufsgruppe neu zu ordnen.
Dies ist eng verquickt mit dem §15 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (siehe Kasten Seite 08) und dem neuen Gesetz für die Medizinischen Assistenzberufe und deren Ausbildung. Wir haben noch sehr viel zu tun und eine spannende Zeit des Umbruchs und der Neuordnung steht bevor. Es liegt an uns allen –in den Kliniken und den Zentraleinheiten –gemeinsam die Zukunft zu gestalten. In Summe also eine große Chance, die wir aktiv nutzen sollten.“

Dipl. KH-BW Peter Maschat, Vorsitzender des Zentralbetriebsrates der NÖ Landes­bediensteten:

„Das System ist im Umbruch, und wir sind mittendrin. Der Zentralbetriebsrat sagt ein klares Ja zur Akademisierung der Pflege. Aber es gibt offene Punkte im Bereich der Pflegeausbildung. Für die Krankenpflegeschulen der Zukunft wünsche ich mir drei neue Aufgabenbereiche: die Ausbildung für Pflegehelfer, die zukünftig zu Pflegeassistenten werden, zweitens die Angebote für die Medizinischen Assistenzberufe wie OP- und Gipsassistenz, und drittens die Schulen als Kooperationspartner für die Fachhochschulen. Der dritte Bereich ist notwendig, um weiterhin ausreichend topausgebildetes Pflegepersonal zur Verfügung zu haben. Unsere Krankenpflegeschulen als eine Art Außenstelle der Fachhochschulen würde die derzeit nicht vorhandenen Kapazitäten an den FHs erhöhen. Wenn wir uns zum Bologna-Prinzip bei der Ausbildung bekennen, brauchen wir auch die Kapazitäten.
Bis wir die nötigen Kapazitäten in der Ausbildung haben, sind Kooperationen eine wichtige Chance. Wir brauchen beispielsweise Übergangsregelungen für die Lehrkräfte. Im Bereich Praxis danke ich Roman Gaal und der NÖ Landes­kliniken-Holding für den Leitfaden, den er für die landesweite Ausrollung der Umsetzung des §15 für Ärzte und Pflege erstellt hat.
Wir müssen uns jetzt um ausreichenden Nachwuchs in der Pflege bemühen. Aus den mobilen Diensten drängen Pflegekräfte in die Kliniken, aber wir brauchen sie auch unbedingt bei den mobilen Diensten. Die Pflegeberufe sind attraktiver zu machen, damit wir für die Zukunft vorgesorgt haben.“

Landesrat Mag. Karl Wilfing:

„Derzeit ist wirklich vieles im Umbruch und wir müssen grundlegend darüber nachdenken, wie wir die Herausforderungen der Zeit meistern. Das betrifft alle Bundesländer, aber Niederösterreich am stärksten, weil alle Kliniken bei einem Träger vereint sind.
Darüber hinaus werden alleine in Wien heute 60 Medizin-Absolventen pro Jahr weniger ausgebildet als noch vor zehn Jahren. Dazu im Gegensatz steht, dass wir seit der Übernahme der Kliniken in die Hand des Landes 561 zusätzliche Ärztinnen und Ärzte eingestellt haben. Das zeigt, dass wir mehr Ärzte als je zuvor im Einsatz haben, wir jedoch gleichzeitig durch das neue Spitalsärztegesetz weitere Mediziner in unseren Kliniken benötigen.
Aber auch in der Pflege müssen wir schauen, dass wir für die Zukunft gerüstet sind. Das Land trägt die Akademisierung mit. Vom Bund erwarten wir, dass er die entsprechenden Entscheidungen fällt, damit wir die Schulen gestalten können, und zwar in diesem Schuljahr. Noch haben wir genug Pflegekräfte, aber wir wissen auch, dass wir künftig mehr brauchen werden. Denn die Bereitschaft der Ärzte, Aufgaben an die Pflege abzugeben, wird spürbar größer. Die Änderungen in der Dokumentation sind eine große Chance, die Belastungen der Berufsgruppen zu senken und die Menschen deutlich zu unterstützen.
Die Politik arbeitet jedenfalls intensiv daran, all diese Veränderungen aktiv zu begleiten und zu unterstützen. Was auf Bundesebene passiert, beobachten wir genau und bringen unsere Expertise ein. Und das Land als Träger der Kliniken unterstützt alles in der Umsetzung, was zur Verbesserung der Arbeitssituation und der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger beiträgt.“

Gesundheits- und Krankenpflegegesetz

(in Kraft seit 08.08.2013)
Mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich § 15

  1. Der mitverantwortliche Tätigkeitsbereich umfasst die Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen nach ärztlicher Anordnung.
  2. Der anordnende Arzt trägt die Verantwortung für die Anordnung (Anordnungsverantwortung), der Angehörige des gehobenen Dienstes trägt die Verantwortung für die Durchführung der angeordneten Tätigkeit (Durchführungsverantwortung).
  3. Im mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich hat jede ärztliche Anordnung vor Durchführung der betreffenden Maßnahme schriftlich zu erfolgen. Die erfolgte Durchführung ist durch den Angehörigen des gehobenen Dienstes durch deren Unterschrift zu bestätigen.