Psychiatrie-Erfahrene helfen mit
Die NÖ Landeskliniken-Holding begibt sich bei der psychiatrischen Versorgung auf neue Wege: Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung helfen Patientinnen und Patienten.

Nach einjähriger Laufzeit wurde der Ausbildungskurs im November 2014 erfolgreich abgeschlossen. foto: Manuela Ptazek, zVg
Menschen, die selber psychiatrische Krankheits- und Genesungserfahrung haben, sollen nach entsprechender Ausbildung an psychiatrischen Abteilungen mitarbeiten. „Es ist nachgewiesen, dass diese aktive Beteiligung von Psychiatrie-Erfahrenen die Qualität der Versorgung verbessert“, erklärt wHR Dr. Peter Denk, MAS, MSc, Leiter des Bereichs Psychiatrie-, Psychologie- und Psychotherapiekoordination in der Abteilung Medizinische und Pflegerische Betriebsunterstützung der NÖ Landeskliniken-Holding.
Sein Abteilungsleiter Dr. Markus Klamminger, stellvertretender Medizinischer Geschäftsführer der Holding, ist voll überzeugt von diesem Weg: „Das Wissen und die Erfahrungen der Betroffenen wurden bislang als Ressource nicht so berücksichtigt. Aber gerade die Betroffenen wissen genau, welche Arten von Unterstützung ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Das ist eine wertvolle Ergänzung zu unserer professionellen Sichtweise.“
Denk und seine Mitarbeiterin Mag. Barbara Weibold, MBA, leiten das Projekt: „Wichtig war uns, qualifizierte Psychiatrie-Erfahrene zu gewinnen. Dazu war es notwendig, ein passendes Ausbildungsangebot zu organisieren. Durch Univ.-Prof. Michaela Amering, Autorin des wissenschaftlichen Bestsellers ‚Recovery‘, stießen wir auf den EX-IN-Ansatz und entschlossen uns, diese erfolgreiche Methode nach Niederösterreich zu bringen. Nicht ohne selbst auch vorher die Ausbildung zum EX-IN-Trainer in Hamburg und Bremen gemacht zu haben. Dadurch wurden wir restlos überzeugt.“
Erfahrene Trainer
EX-IN (Experienced-Involvement) basiert auf der Überzeugung, dass Menschen, die psychische Krisen durchlebt und bewältigt haben, diese Erfahrung nutzen können, um andere in ähnlichen Situationen zu verstehen und zu unterstützen. Das Curriculum wurde in einem Leonardo-da-Vinci-Pilotprojekt der EU von sechs Ländern entwickelt. Das einjährige Curriculum besteht aus zwölf Modulen und zwei Praktika. Eine neue, erfahrungsbasierte Didaktik ermöglicht, vom subjektiven Ich-Wissen über das Du-Wissen zu einem umfassenden Wir-Wissen zu gelangen.
Mit Gyöngyvér Sielaff (Hamburg) und Jörg Utschakowski (Bremen) wurden die zwei renommiertesten EX-IN-Promotoren als Trainer gewonnen. Sie freuen sich, „über das große Engagement, EX-IN in Niederösterreich einzuführen und dass damit ein großer Pionierschritt in Österreich für die weitere Verbreitung dieses Modells getan wird.“ Gemeinsam mit ihren Trainerpartnerinnen Gwen Schulz und Karin Aumann haben sie den Ausbildungskurs in St. Pölten gehalten.
Kooperation mit Tulln
Seit Beginn des Projektes gab es eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Tulln. „Schon bei den ersten Fokusgruppen zeigten sich die Patienten der Tagesklinik sehr interessiert an den Möglichkeiten der Betreuung durch Betroffene“, erinnert sich Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Aigner, Leiter der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie, „und sie konnten sofort den Nutzen für sich erkennen. Dass Betroffene Betroffenen helfen können, erschien so plausibel, dass es keiner weiteren Erklärungen bedurfte. Ich spreche da gerne von einer sogenannten Augenscheinvalidität.“
Auch auf die Mitarbeiter sprang der Funke rasch über. Pflegedirektorin DGKS Eva Kainz, MSc, beschreibt das so: „Da ich bei einer Exkursion des Projektteams in der Psychiatrischen Klinik Bremerhaven gesehen habe, wie gut integriert dort Betroffene im Behandlungsteam mitarbeiten, konnte ich auch mein Personal motivieren. Nachdem sich weitere meiner Mitarbeiter in Bremerhaven von diesem Erfolgsmodell überzeugt haben, haben wir uns für die Zusammenarbeit mit den künftigen EX-IN-Genesungsbegleitern gut vorbereitet.“
Selbsthilfe eingebunden
Von Beginn an eingebunden waren Vertreter der Selbsthilfe-Organisationen für Betroffene (HSSG) sowie für Angehörige (HPE). Herbert Heintz, Obmann des HSSG, ist froh darüber, „dass Betroffene ihr Wissen über ihre eigene Erkrankung und Genesung mit EX-IN weiterentwickeln können. Damit leisten wir noch bessere Hilfe zur Selbsthilfe. Besonders freut mich, dass auch meine beiden Stellvertreter diesen Kurs gemacht haben.“ Auch die Caritas St. Pölten und die PSZ GmbH unterstützten Betroffene, die bereits in ihren Organisationen bei Projekten mitarbeiten, bei der Teilnahme am EX-IN-Kurs.
Bereits die Ankündigung des EX-IN-Kurses stieß auf sehr großes Interesse und löste eine Welle von Anmeldungen aus. Eines der Hauptmotive drückt Kursteilnehmerin Doris Brauner aus: „Diese Ausbildung gibt mir die Möglichkeit, meine Erfahrungen mit seelischen Krisen und mein Wissen über ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ mit Menschen in Krisen zu teilen und sie begleitend zu unterstützen, um damit Hoffnung auf Besserung zu wecken.“ Eine der Kurstrainerinnen, Gwen Schulz, erinnert sich ebenfalls an ihre Ausbildung: „Es war das erste Mal in meinem Leben, dass die Tatsache, dass ich viele Jahre in der Psychiatrie zugebracht habe und unter anderem mit der Diagnose Psychose versehen bin, kein Makel war, sondern Voraussetzung dafür, an dieser Fortbildung teilnehmen zu können.“
Die NÖ Landeskliniken-Holding entschloss sich, für jene zehn von insgesamt 21 Kursteilnehmenden, die von Beginn an eine Mitarbeit im Uniklinikum Tulln anstrebten, ein Stipendium zu vergeben.
Nach einjähriger Laufzeit wurde der Ausbildungskurs im November 2014 erfolgreich abgeschlossen. Für die Teilnehmenden war es eine intensive Zeit des Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung. Die Kursmodule wurden von den Trainern so gestaltet, dass „es uns durch den Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit den Kollegen und durch unsere unterschiedlichen Erlebnisse und Stärken möglich war, uns gegenseitig zu unterstützen und auch voneinander zu lernen“, berichtet Teilnehmerin Ursula Haidvogl.
Wie geht es weiter?
In einem Anschlussprojekt werden heuer ausgewählte Absolventen des EX-IN-Kurses die Möglichkeit haben, ihr erworbenes Erfahrungswissen bei der Begleitung von Menschen in akuten psychischen Krisen auch wirklich einzusetzen. Im Rahmen von entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen werden sie an der Erprobung dieses neuen Betreuungsansatzes an der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie am Uniklinikum Tulln mitarbeiten.
Mag. Andreas Achatz, Leiter der zuständigen Abteilung Personalangelegenheiten LAD2-B im Amt der NÖ Landesregierung, bestätigt: „Wir stehen diesem begrüßenswerten Projekt äußerst positiv gegenüber und werden uns auch weiterhin bemühen, für eine positive Weiterentwicklung die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.“
Warum wollen diese „Expertinnen und Experten aus Erfahrung“ im Klinikum mitarbeiten? „Ich möchte den Patienten gerne eine neue Form der Unterstützung bieten und daran mitwirken, auf lange Sicht etwas in der Psychiatrie zu verändern. Da ich in Tulln selbst als Patientin war, ist es mir ein besonderes Anliegen, Dinge zu verbessern, die ich als Patientin negativ oder nicht förderlich erlebt habe“, erklärt Agnes Zach. Eine andere Teilnehmerin drückt es so aus: „Ich beteilige mich, um das erworbene Wissen zu vertiefen und in der Praxis noch mehr Erkenntnisse zu erwerben. Das Angebot von Tulln ist gut. Gemeinsam können wir als Organisation stärker werden und im Team dann sicherlich mehr bewirken.“ Denk und Weibold sind überzeugt: „Es wird ein spannender Weg, bei dem alle Beteiligten voneinander profitieren können. Das gemeinsame Ziel ist, für jeden einzelnen Menschen mit einer psychischen Erkrankung die optimale Behandlung und Betreuung zu erreichen.“
EX-IN: ein willkommener Schritt
Dr. Markus Klamminger, stellvertretender Medizinischer Geschäftsführer der Holding: „Betroffene wissen genau, welche Arten von Unterstützung ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Das ist eine wertvolle Ergänzung zu unserer professionellen Sichtweise.
“Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Aigner, Leiter der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie im Uniklinikum Tulln: „Dass Betroffene Betroffenen helfen können, erschien so plausibel, dass es keiner weiteren Erklärungen bedurfte.“
Mag. Andreas Achatz, Leiter der zuständigen Abteilung Personalangelegenheiten LAD2-B im Amt der NÖ Landesregierung: „Wir werden die notwendigen Rahmenbedingungen für eine positive Weiterentwicklung schaffen.“
Teilnehmerin Agnes Zach: „Da ich in Tulln selbst als Patientin war, ist es mir ein besonderes Anliegen, Dinge zu verbessern, die ich als Patientin negativ oder nicht förderlich erlebt habe.“
Pflegedirektorin DGKS Eva Kainz, MSc: „Wir haben uns für die Zusammenarbeit mit den künftigen EX-IN-Genesungsbegleitern gut vorbereitet.“
Herbert Heintz, Obmann des Selbsthilfegruppe für Betroffene, HSSG: „Mit EX-IN können wir noch bessere Hilfe zur Selbsthilfe leisten.“
Die Teilnehmerin Ursula Haidvogl und Doris Brauner: „Durch den Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit den Kollegen und durch unsere unterschiedlichen Erlebnisse und Stärken war es uns möglich, uns gegenseitig zu unterstützen und auch voneinander zu lernen.“





